Der Geschichtenerzähler vom Straußberger Platz


Wer: Andreas Tölke – Journalist
Wo: Berlin – Mitte

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Der Straußberger Platz in Berlin-Mitte

Ich klingele, die Tür geht auf und Müller kommt mir schwanzwedelnd entgegen. Müller ist eine ausgesprochen süße, schwarz-weiß-fellige, französische Bulldogge und ist den derzeitigen regen Besucherstrom gewohnt. Die meisten Gäste, die sich hier am Straußberger Platz in Berlin-Mitte seit Wochen die Klinke in die Hand geben, sind Flüchtlinge, denen Müllers Herrchen privates Asyl in seinen sehr privaten Räumen gewährt. In der 112 Quadratmeter großen „Designbutze“ hat der Mann mit dem Herz am richtigen Fleck seither 54 hilfesuchende Menschen aus elf Nationen beherbergt. „Eigentlich habe ich einen Knall“, beschreibt Andreas Tölke sich und seine Hilfsbereitschaft. „Schließlich kenne ich die Leute gar nicht. Wer weiß, des Nachts wirst du im Schlaf gemeuchelt.“ Andreas Tölke grinst und nippt an seinem Wasserglas.

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Bulldogge Müller präsentiert sein Spielzeug. Stuhl und Tisch mit grünem Filzbesatz entdeckte Tölke in der Villa Harteneck

Tölke, bekennender Legastheniker, studierter Sozialarbeiter, erfahrener Kellner und erprobter Model-Booker verdient sich heute sein Brot als gefragter Journalist mit Portraits über Menschen, Kunst und Architektur – u.a. für die Welt am Sonntag und das Lufthansa Magazin. Interviews mit Schauspielern findet der leidenschaftliche Schreiber mühsam. „Die reden doch schon genug und müssen nicht zu allem was sagen“, findet Tölke, der Geschichtenerzähler. „Sarah Jessica Parker war eine der wenigen Ausnahmen, denn die hat etwas mitzuteilen. Aber ich möchte Iris Berben nicht fragen, wie sie mit ihrem Alter klar kommt.“

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Andreas Tölke vor dem original DDR-Küchenschrank der Architektin Irene Henselmann, deren Mann maßgeblich die Karl-Marx-Allee gestaltete und nebenbei noch den Fernsehturm entwarf

Als der aus dem Weserbergland stammende Tölke vor zehn Jahren in seine Wohnung am Straußberger Platz zog, war die Gegend von Leerstand geprägt. Kein Mensch – und schon gar nicht die aus dem Osten – wollte hier her. Wie kann man hier nur wohnen, fragte ihn damals sogar die Maklerin und merkte die Geräuschkulisse an, die unstrittig und unablässig von dem dauerrauschenden Verkehrsstrom von unten heraufdröhnt. Man gewöhnt sich an alles, sagt Tölke. Heute haben sich die Mieten rund um den Straußberger Platz verdoppelt und es gibt lange Wartelisten von Architekturfans, die in dem ehemaligen Vorzeigeprojekt der DDR liebend gerne einzögen. Das längste, zusammenhängende Häuser-Ensemble der Karl-Marx-Allee steht lange schon unter Denkmalschutz.

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Der Livingroom: Das große Sofa von Armani Casa steht der Daybed-Liege gegenüber. Die Stehlampe ist von Serge Mouille, der Tisch von Noguci, die Kissen von Calvin Klein

Drei Zimmer, Küche, Bad umfasst Tölkes Asylanten-erprobtes und mit allerhand Design-Klassikern ausgestattetes Refugium, das Besucher in einem 18 Quadratmeter großen Entree willkommen heißt, von dem die übrigen Räume abgehen. Drei Meter fünfzig hohe Decken und Doppeltüren, original erhaltene Details wie Fischgrät-Parkett und Bakelit-Handgriffe: wo gibt’s das schon, freut sich Tölke und schaut versonnen auf den Berliner Fernsehturm, der sich direkt vor seinem Fenster erhebt und in diesem Mittagslicht besonders attraktiv aussieht. Und er gibt zu: „Für andere Wohnungen bin ich definitiv versaut.“

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Der Anblick von Benno Kraehahns ‚Namenloser Frauenakt‘ hat den einen oder anderen Asylanten sichtlich irritiert: „Ich habe denen erklärt, dass der Anblick nackter Frauen hier niemanden aus der Fassung bringt.“ Am Küchentisch Stühle im DDR-Design, einer „geklauten Panton-Version“: „Hier gibt es keine gebügelte Tischwäsche“, erklärt Tölke seinen Männer- und Hundehaushalt. „Und solange ich nicht meinen Traumtisch von Saarinen habe, bleibt die knittrige Decke auf dem Tisch!“

Es ist auch die Hausgemeinschaft der 120 Nachbarn, in die sich Tölke verliebt hat. Hier kennt jeder jeden, man grüßt sich und spricht miteinander. Auf der Heizung im Flur gibt es eine kleine Tauschbörse. Was der eine nicht mehr benötigt, macht den anderen glücklich. Von Süßigkeiten über Bücher bis zur Weihnachtsdeko. Seine Gastfreundschaft gegenüber den Flüchtlingen hat prompt die Nachbarschaft mobilisiert. Auch hier werden nun Türen für Asylanten öffnet. „Geht doch“, resümiert Tölke. „Und es kostet wenig Mühe und sammelt Karma-Punkte.“ BvH

Karma-Punkte sammeln

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Das ist Müller vor seinen bedauerlicherweise leeren, dafür sehr schicken Luxus-Futternäpfen des Designers Paul Smith, die dieser höchstpersönlich an Müller geschickt hat

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Hier entstehen Andreas Tölkes Geschichten

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„Der sieht doch aus wie ein Bauhaus-Möbel, oder?“ kommentiert Andreas Tölke seinen schwarzen Schreibtisch. Die 70er Jahre Leuchte ist ein Flohmarktfund, Sessel ‚Softpad‘ von Eames

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Der legendäre ‚Wingchair‘, darüber ein Aquarell von Carla Primera

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„Das ist Revolutions-Kitsch aus China“, erklärt Tölke die Keramik-Figuren. „Heute sicher viel wert, damals für’n Appel und ‘nen Ei geschossen.“

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„Auf meine Recamiere lasse ich ausnahmsweise mal jeden. Aber nur so lange, wie ich das will“, sagt Andreas Tölke über seine derzeitigen ausländischen Gäste. Daneben die ‚Artemide‘-Leuchte vor einem Bild von Munoz Balda. „Ich muss gestehen: ich liebe Luxus.“

„Ich liebe Luxus.“

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Diese Aussicht ist begehrt: Blick auf den Berliner Fernsehturm

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Im Schlafzimmer betten sich die Herren Tölke und Müller auf einem Modell von Ligne Roset, die Beistelltische sind von Lambert, die Tischlampen von Tobias Grau

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Über dem ‚Swan-Chair‘ von Arne Jacobsen im Flur ein Aquarell der Künstlerin Oda Jaune

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Kunst von Jörg Immendorff und Pjotr Nathan

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Foto mit Pistole rechts von Oliver Mark, links daneben Arbeiten von Uwe Arens. Der Fünfziger-Jahre-Leuchter ist ein Fund aus München

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Original erhalten sind auch die Wohnungstüren im Haus am Straußberger Platz

Kontakt und Infos:

beanangel.direct/

There are 3 comments for this article
  1. annett
    at 12:01

    Hatte gestern einen Kommentar geschickt zu dem Bild von SAM. Mit dem bedauern, dass es das einzige ist, welches keinen Credit bekommt. Also SAM alias Nils koppruch. Ist der nicht durch gekommen? Habe die roboterfrage nicht angeklickt…

  2. annett
    at 12:05

    Oh tatsächlich, jetzt ist der Kommentar da. Also das einzige Bild ohne ausführliche BU zeigt ein Bild von SAM, Nils Koppruch. Bei der Ausführlichkeit aller anderen Bildunterschriften finde ich das so schade. Er gehörte nicht zu den teuren Designern/Malern sondern wurde der Cheap Art zugeordnet. Aber das tut der Geschichte ja keinen Abbruch 🙂

    • at 12:12

      Hallo Anett,
      vielen Dank für den Hinweis. Ich beziehe meine Infos natürlich von dem jeweiligen Interview-Partner. In diesem Fall haben wir wohl etwas übersehen. Ich bitte um Nachsicht. Viele Grüße, Birgit

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