Zu Besuch bei Kulturmanager Dr. Gerald Matt


Wer: Dr. Gerald Matt, Kulturmanager
Wo: Wien, Österreich

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Die Altbauwohnung von Dr. Gerald Matt in Wien: Die Tür geht auf und ich betrete eine andere Welt

Vermutlich ist er einer der letzten Bohemians von Wien, der mit österreichischer Grandezza das Savoir Vivre zelebriert. Ein Dandy wie aus dem Bilderbuch: Dr. Gerald Matt, Kulturmanager und Kunstberater, der 16 Jahre lang die Wiener Kunsthalle leitete, dort zeitgenössische Kunst etablierte, bis er sich mit der Kulturpolitik überwarf. Heute macht er eine Fernsehsendung, schreibt Kolumnen für österreichische Magazine und unterrichtet als Gastprofessor an der Hochschule für Angewandte Kunst. Einen Steinwurf vom Naschmarkt entfernt – im schicken sechsten Wiener Bezirk – besuche ich den Kunstexperten, der von sich selber sagt, er sei ein manischer Sammler und allein 4.000 Krawatten besitzt. Die Tür geht auf, ich betrete eine andere Welt, in der im Hintergrund leise Jazzmusik spielt. Selbstverständlich von der Schallplatte.

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Dr. Gerald Matt, Kulturmanager und Kunstberater in seinem Wiener Refugium

MyStylery: Dr. Matt, wie wird man zum manischen Sammler?
Dr. Gerald Matt:
In dem man schöne Gegenstände liebt: „The power of being deeply moved by a beautiful object“ wie der englische Philosoph Walter Pater sagte. Als Sammler lernte ich die Dinge in einen kulturell-zeitlichen Kontext zu sehen. Ich weiß, ob eine Krawatte aus den 30er oder 40er Jahren stammt. Die aus den amerikanischen 40ern sind viel breiter geschnitten genauso wie die Hosenbeine in der Zeit. Viel Stoff als Zeichen der Überflussgesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg.

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Flohmarkt-Funde: 50er Jahre Teeservice und Etagere mit Likörgläsern

MS: Gibt es hier etwas, woran Sie besonders hängen?
GM: Das kann ich gar nicht so sagen. Es ist vermutlich das, was verloren gegangen ist oder was ich gerade nicht finde. Das kennt man ja auch aus dem zwischenmenschlichen Bereich. Plötzlich ist einer weg und man spürt dann erst den Verlust.
MS: Spiegelt das Ihre Erfahrung in Beziehungen zu Frauen?
GM: Ich halte es hier mit Giovanni Agnelli: Grundsätzlich spreche ich lieber mit Frauen als über Frauen.

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„Nur weil einer ein bisschen besser angezogen ist, Krawatte und geputzte Schuhe trägt, ist er doch noch lange kein Dandy.“

MS: Wie narzisstisch sind Sie? Hier hängen auffällig viele Fotos von Ihnen in der Attitüde des Dandys.
GM: Der Begriff wird häufig missverstanden, weil man heute doch gar nicht mehr weiß, was ein Dandy eigentlich ist. Nur weil einer ein bisschen besser angezogen ist, Krawatte und geputzte Schuhe trägt, ist er doch noch lange kein Dandy. Meine Körperhaltung drückt lediglich etwas Distanz aus, ein wenig interesseloses Wohlgefallen, um Kant zu zitieren.
MS: Finden Sie, dass die Leute heute schlecht gekleidet sind?
GM: Ja, absolut grauenhaft. Sie rennen der Mode nach ohne jedes Qualitätsbewusstsein für Verarbeitung und Stoffe. Hauptsache ein neuer Fetzen. Von dieser Geistlosigkeit profitiert nur die Industrie.
MS: Sie hingegen sehen aus, wie einer Zeitreise entsprungen.
GM: Naja, ich mag weite Hosenbeine. Das ist bequem und wenn ich den Fuß hebe, bekomme ich so etwas Flatterhaftes und denke dabei an Fred Astaire. Nicht zu vergleichen mit den 70er Jahren. Die stehen für Nylon, Körpergeruch und Revolutionsattitüden.

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Was macht ein Mann mit 4.000 Krawatten?

MS: Besitzen Sie eine Jeans?
GM: Ja, zwei Klassiker, die ich aber nur trage, wenn ich in Texas bin.
MS: Dafür haben Sie umso mehr Schlipse. Was macht ein Mann mit 4.000 Krawatten?
GM: Warum haben Kunstenthusiasten 4.000 Bilder, warum haben Frauen hunderte Paar Schuhe? Ich wechsle gern die Krawatte, auch wenn ich noch nicht alle getragen habe.
MS: Sie haben auch einen Faible für die Mode der 60er Jahre?
GM: Richtig, aber gute Mode ist auch außerhalb von Zeit und Ort. Wobei es abhängig ist von meiner Stimmung, ob ich einen Anzug der 40er, 50er oder 60er Jahre wähle. Heute hatte ich einen Termin beim Finanzamt, da war die Stimmung eher dosiert. Also erschien ich in einem dunkelblauen Einreiher.

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Reflektionen

MS: Es wirkt so, als lebten Sie etwas rückwärtsgewandt.
GM (erstaunt): Empfinden Sie das so? Es ist doch nicht altmodisch, wenn man Wert legt auf gutes Schuhwerk, gerne Krawatten trägt und sich halbwegs ordentlicher Umgangsformen bedient. Ich finde es avantgardistisch und zukunftsorientiert. Die Frage ist halt, wie die Zukunft sein wird. Aber da hat jeder von uns Verantwortung.
MS: Und Ihre Wohnung? Das Ambiente ist schon sehr museal, oder?
GM: Wissen Sie, ich liebe Qualität und das kriegt man doch heute nicht mehr. Lederkoffer zum Beispiel oder Stahlkoffer von Halliburton … wenn man das heute kauft, kostet das ein Vermögen! Die meisten sind überdies hässlich und schlecht verarbeitet. Und Bücher sind doch keineswegs aus der Mode? Ob das eine Erstausgabe von Walter Serners „Letzte Lockerung“ oder Perry Mason-Krimis vom Flohmarkt sind.
MS: Lesen Sie die auch?
GM: Ja selbstverständlich!
MS: Und den Revolver haben Sie sich vorsichtshalber auch gleich danebengelegt. Sind Sie ein bisschen paranoid?
MS (lacht): Der ist für den Notfall. Aber natürlich nicht geladen. Ich spiele eher mit diesen Dingen. Das ist alles Attrappe. Hätte ich einen echten, würde ich’s Ihnen natürlich nicht sagen. Da krieg ich sonst noch einen schlechten Ruf. Und der Überraschungseffekt wäre weg, wenn die unliebsamen Zeitgenossen dann doch kommen.

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Perry Mason-Krimis vom Flohmarkt mit daneben liegendem Revolver: „Natürlich nicht geladen.“

MS: Sie waren 16 Jahre Direktor der Wiener Kunsthalle – nun nicht mehr.
GM: Richtig. Ich bin gegangen – nach dem erfolgreichsten Jahr in der Geschichte des Hauses mit 200.000 Besuchern. Ich hatte den permanenten Konflikt mit einem Grünen Abgeordneten satt. Kunst ist für mich das außergewöhnliche, das andere, das geniale, nicht Partizipation und Basisdemokratie. Aber Wien lebt von der Intrige, da gilt viel Feind, viel Ehr. Und ich bin nicht abgetaucht, im Gegenteil, ich lehre an der Uni und mache nun meine Fernsehsendungen und schreibe Kommentare für Zeitungen. Die Leute sollen sehen: Ah, der lebt noch.
MS: Warum haben Sie Wien nicht einfach den Rücken gekehrt?
GM: Ich reise viel, verbringe Zeit vor allem in New York und Warschau. Wien ist mein sicherer Hafen. Zudem gehe ich gern zu Fuß, was z.B. in dem überdimensionierten Berlin, das ich von der Panam Lounge bis zu Käthchens Ballhaus sehr schätze, gar nicht funktioniert. In Wien kann man im Zentrum alles zu Fuß erledigen. Und ich liebe das Wiener Kaffeehaus, eine Art öffentliches Wohnzimmer. In Wien kann man vorzüglich in Gasthäusern essen. Um gutes, bodenständiges Essen in einer Stadt wie Berlin zu bekommen, muss man schon ins Luxusrestaurant gehen. Aber gutes Essen und Trinken stand ja bei Protestanten schon immer unter Generalverdacht.

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Dr. Matts Lieblingsheiliger: „Der heilige Antonius bringt alles zurück.“

MS: Der Protestantismus in seiner vermeintlichen Fehlbarkeit scheint eines Ihrer Lieblingsthemen zu sein.
GM: Ich merk‘ schon, dass Sie protestantisch sind. Da wird den Katholiken Scheinheiligkeit und Korruption unterstellt, wo Phantasie und Vergebung ist. Sehen’s hier den heiligen Antonius, meinen Lieblingsheiligen. Was habe ich schon verloren: Vom Computer im Flughafen-Bus bis hin zur goldenen Uhr in der Londoner U-Bahn. Der Heilige Antonius bringt alles wieder. Man muss natürlich zahlen, zumindest zehn Euro in den Opferstock.
MS: Erleidet Ihre Putzfrau nicht einen totalen Zusammenbruch, wenn sie hier rein kommt?
GM: Die ist psychologisch gestählt und geschult.
MS: Sie haben keine Angst davor, dass sie etwas verrückt oder kaputtmacht?
GM: Sie hat Respekt vor den Sachen, ich muss allerdings zugeben, dass ich einige Zeit nach einer für mich perfekten Putzfrau suchen musste.

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Blick auf die Devotionalien-Sammlung

MS: In Ihrem Refugium ist kaum noch ein freies Plätzchen. War das schon immer so?
GM: Ende der 80er Jahre fing ich hier mit einer Matratze und einem ausrangierten Krankenhausbett an. Alles war weiß, es sah aus wie in einem Laboratorium. Und ich lebte aus dem Koffer. Ich habe heute noch einen stets gepackten Koffer hier stehen, für den Fall, das ich spontan abreisen muss. Ich bin vorbereitet. Natürlich ist darin ein Smoking, er ist das wichtigste Kleidungsstück, wenn man sich in der Immigration etablieren will.
MS: Und was wäre dann mit Ihrer Sammlung?
GM: Das wäre natürlich traurig, wenn sie zurückbliebe und ich wieder von vorne beginnen müsste. Aber ich hätte dann zumindest eine neue Aufgabe. BvH

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Von der Galerie fällt der Blick auf Thonet-Stühle, auf dem Tisch ein Laptop und Dr. Matt am Handy, den vermutlich einzigen technischen Gegenständen der Neuzeit in dieser Wohnung

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„Der Stalin hängt hier quasi als Abschreckung. Umgeben von vielen nackten Frauen. Das muss er erstmal aushalten. Für zehn Dollar habe ich ihn einem Genossen während einer meiner Reisen in Russland zwischen Kiew und Moskau abgekauft. Die wollten den nicht mehr.“

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Rotes Samt-Canapé vor einer Schrankwand aus Nirosta-Stahl in Anlehnung an alte Stahlschränke

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Empore mit Wand-Uhr: „Sie war Requisite in Woody Allens-Film ‚Bullets over Broadway‘ (1994). Ich mag dieses weiterentwickelte, strenge Artdeco.“

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„Die Orden kauf ich lieber günstig auf dem Flohmarkt, als dass ich jemanden umbringe oder mich selbst in Gefahr bringe, nur um zum Helden zu werden.“

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Die Devotionalien-Abteilung, darunter eine Kasperlefigur vom Wiener Flohmarkt. „Ein Lieblingsstück stammt aus Sarasota in Florida, das Buch ‚Alice in Wonderland‘ vom Flohmarkt in San Francisco.“

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„Ich mixe zeitgenössische Kunst mit Exponaten des 20sten Jahrhundert.“

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Hunderte Bücher stehen in Gerald Matts Regalen, darunter alte Tucholsky Ausgaben

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Anregende Details und Dekorationen auf dem Schreibtisch des Kunstmanagers

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Stillleben à la Dr. Gerald Matt: Links die österreichische Fahne, dadrüber hängt ein Ozelot in gutem Einvernehmen mit einem Haifisch

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„Haben’s den Affen dort gesehen? Meine Frau findet den so gruselig, darum darf er nur hier hängen.“

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Selbstverständlich sind hier auch die Golfbags aus einer anderen Zeit

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„Meine Wohnung spiegelt ein wenig meine Neigung für das Amerika der 30er bis 50er Jahre.“

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Artdeco-Hausbar – streng bewacht vom Eisbären aus Keramik

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Die Querformate – sogenannte Panorama-Bilder von 180 bis 360 Grad …

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… zeigen u.a. Studenten der Universität von Havanna (1943) neben Gewerkschaftsfotografien, Aufnahmen von Schulklassen, Sportlern, Soldaten, Massenszenen:

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„Die Panorama-Bilder hängen hier, weil sie Geschichten erzählen.“

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Ahoi! Hinter dem Bullauge verbirgt sich das Bad

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Aufgang zur Galerie

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Ein Gentleman geht nie ohne Hut

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Das Afrikazimmer mit seiner exotischen Trophäensammlung

Dr. Matts Lieblings-Flohmärkte:

New York: Zwischen 6th Ave und 23. Straße gibt es den Garagenflohmarkt in Chelsea
Mexico City: Gut für Silbermanschettenköpfe
Paris: Marché aux Puces für Ledermöbel aus den Offizierssalons der 30er Jahre

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