Zu Besuch bei Künstlerin Mia Florentine Weiss


Wer: Mia Florentine Weiss, Performance-Künstlerin
Wo: Berlin

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In diesem restaurierten, ehemaligen Speicher in Berlin lebt und arbeitet die Performance-Künstlerin Mia Florentine Weiss

Als ich letzte Woche die Performance-Künstlerin Mia Florentine Weiss in ihrem Berliner Atelier besuchte, musste ich aufpassen, wohin ich trete. Auf dem Fußboden ein in Gruppen geordnetes, künstlerisches Chaos aus Glasgefäßen, Fotografien und Bilderrahmen: Vorbereitungen für Mias neue Ausstellung ‚Wunderkammer‘, die an diesem Wochenende in Berlin eröffnet wird.* Dazwischen Exponate vorheriger Projekte wie der gerade beendeten Einzelausstellung im Frankfurter Senckenberg Museum. Die gebürtige Würzburgerin pendelt zwischen Berlin, Frankfurt und Los Angeles. Seit der Geburt ihres Sohnes 2014 ist Berlin Lebensmittelpunkt. Hier lebt die Künstlerin mit Mann und Kind seit eineinhalb Jahren in einem ehemaligen Speicher, idyllisch gelegen, direkt an der Spree. Das hallenartige Industrieloft – aufgeteilt in Wohn- und Arbeitsbereich – wurde von Mia und ihrem Mann liebevoll und weitestgehend in Eigenarbeit saniert.

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Mia erläutert das Konzept des Pegasus-Projektes, das dieses Wochenende im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR in Berlin zu sehen ist

MyStylery: In Deinem Atelier sieht es nach viel Arbeit aus, liebe Mia…
Mia Florentine Weiss: Wem sagst Du das? Ich könnte mich abends auch auf dem Sofa entspannen. Stattdessen sortiere ich in Nachtschichten die Gebeine und Gliedmaßen von Porzellanfiguren.
MS: Wunderkammer heißt Deine neue Ausstellung. Das klingt spannend …
MFW: In der Renaissance waren an allen Höfen und Königshäusern Wunderkammern zu finden, in denen Anomalien und Kuriositäten ausgestellt wurden. Kabinette, die den universellen Zusammenhang aller Dinge darstellten als eine Einheit von Kunst, Natur und Wissenschaften. Die neue Ausstellung ist eine Rauminszenierung aus Kuriositäten, Objets trouvés und Fotografien.
MS: Was erwartet mich dort? Mehrköpfige Monster und dreiäugige Drachen?
MFW: (lacht) Lass Dich überraschen. Die Ausstellung ist eine Erweiterung meiner ‚Pegasus‘-Skulptur, einem Symbol für Flucht und Hoffnung, die während des ‚Global Council Summits‘ von Human Rights Watch dieses Wochenende in Berlin gezeigt wird. Im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR, einst Regierungssitz Erich Honeckers. Was für eine Ironie!

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Kuriositäten und Objets trouvés, die in der ‚Wunderkammer‘-Ausstellung gezeigt werden …

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…sowie diverse Fotografien

MS: Warum hat ein Naturkundemuseum eine zeitgenössische Künstlerin mit polarisierenden Arbeiten ausgestellt?
MFW: Dem Besucher sollten sich neue Horizonte eröffnen: Natur trifft Kultur. Und ich schien die einzige Künstlerin zu sein, die diese Schnittstelle von Tradition und Moderne, Mensch und Maschine, Leben und Vergänglichkeit bediente. Pegasus war nicht nur griechische Mythologie und das geflügelte Pferd, sondern steht für Andersartigkeit, die keiner vorherrschenden Norm entspricht.

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Die Flügel von Mia’s Performance ‚Art Angel‘ 2011-2012 in Los Angeles

MS: Nach dem Abitur bist Du Ende der 90er ein Jahr auf Weltreise gegangen, auf der Du bereits erste Gegenstände gesammelt hast. Waren Dir Deine künstlerischen Ambitionen damals schon bewusst?
MFW: Aus jeder größeren Stadt – ob Denpasar oder Nairobi – habe ich während meiner Work- und Travel-Reise eine große Kiste mit Fundstücken nach Hause geschickt. Ich wusste, dass ich auf diese Dinge einmal zurückgreifen würde. So wie auf die besondere Sammlung afrikanischer Libellen meiner Großmutter, die mir meine Mutter zum Abitur schenkte. Ich sollte gut auf sie aufpassen, sagte sie mir damals.
MS: Und wie reagierte sie, als sie die Libellen in Deinen Arbeiten entdeckte?
MFW: Ungefähr so wie mein Vater, als er im Senckenberg Museum den ‚Pegasus‘ betrachtete: Ah, das ist ja von Opa! Ach, das suche ich schon die ganze Zeit… Sogar mein Konfirmationsarmband steckt in ‚Pegasus‘ und viele andere persönliche Gegenstände, die mir etwas bedeuten.

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Der Familienfuhrpark: Eine alte Harley neben einem Bobbycar

MS: 2000 hast Du in Hamburg Mode und Journalistik studiert. Danach Schauspiel in Berlin. Warst Du Dir Deiner künstlerischen Ambitionen nicht mehr so sicher?
MFW: Es gibt einige Künstler wie Tracey Eman oder Valie Export, die auf Umwegen ans Ziel gelangten. Meine Mutter hat an der renommierten Folkwangschule in Essen studiert und ist freischaffende Malerin und Designerin. Obwohl sie ein großes Vorbild ist, kam eine Kunstakademie für mich nicht in Frage. Ich wollte meinen eigenen Weg. Trotzdem war es mir wichtig, eine Ausbildung zu machen, auf die ich immer zurückgreifen kann. Ich habe mein Studium an der AMD in Hamburg auch abgeschlossen. Das Schauspielstudium habe ich allerdings abgebrochen, weil mir schnell klar wurde, dass ich nur selbstbestimmt arbeiten kann.

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Die Fotoarbeit entstand in der historischen Apotheke des Frankfurter Senckenberg Museums inmitten von Reagenzgläsern mit konservierten Anomalien

MS: Du polarisierst mit Deiner Kunst. Als ich in einer Ausstellung die mit Deinem Blut beschrifteten Schutzschilder gesehen habe, war ich schon etwas verschreckt.
MFW: Statements sind Teil meiner Arbeiten, dazu zählen auch Ambigramme wie ‚Love-Hate‘. Ich bin mit Worten nicht inflationär. Nur wenige Worte sind besonders, was ich mit meinem Blut zum Ausdruck bringe. Es geht nicht um Effekte oder Ekelkunst. Die schlimmste Reaktion auf meine Arbeit wäre, keine Meinung zu haben. Wenn jemand sagen würden, Schatz, dass passt perfekt über unser Bett oder Couch, dann sollte ich etwas anderes machen.
MS: Wieviel Blut hast Du schon verarbeitet?
MFW: Über die Jahre sind schon einige Liter zusammen gekommen. 2006 hatte ich einen Tank, in dem ich das Blut aufbewahrt habe. Das war ein Tick von mir, im Kühlschrank immer Blut griffbereit zu haben.

MyStylery Homestory bei Künstlerin Mia Florentine Weiss

Performance ‚Art Angel‘ in Los Angeles. Auf dem Polizeiwagen sind Mia’s Blutmetaphern zu sehen

MS: Kunstexperten beurteilen Künstler häufig nach ihrem Werdegang. Sie nehmen Künstler nur ernst, wenn diese eine Meisterklasse bei einem namenhaften Künstler und das Studium an einer angesehen Akademie absolviert haben.
MFW: Warhol, Kienholz, Penck, Nicki de Saint-Phalle, Basquiat und andere waren keine Meisterschüler. Klar wäre die Kunstakademie der klassische Weg gewesen, aber ich hatte immer meinen eigenen Kopf und Vorstellungen.
MS: Bist Du beratungsresistent?
MFW: Im Gegenteil, ich bin total teamfähig, sonst würde meine Atelierwelt mit allen Beteiligten hier gar nicht funktionieren. Manchmal etwas crazy, aber sicher auch inspirierend. (lacht)

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Baden mitten im Atelier: „Der Berliner Künstler Nikolai Makarov hat eine Badewanne mitten in seiner Küche. Das hat mich inspiriert.“

MS: Wie trennt Ihr Wohnen und Arbeiten? Gibt es Konfliktpotenzial?
MFW: Kunst ist mein Leben. Hier sahen wir die Möglichkeit, beides zu vereinen. Ich bin für mein Atelier zuständig, mein Mann für seinen Arbeitsbereich. Irgendwann schaute er von oben auf mein Chaos und fragte, bleibt das so? Und ich sagte: Das wird eher noch schlimmer.
MS: Seit 1 ½ Jahren wohnt Ihr nun in diesem herrlichen Loft, das Ihr im Laufe der letzten drei Jahre umgebaut habt. Wie habt Ihr Euer Paradies gefunden?
MFW: Bei einem Bootsausflug haben wir den Speicher vom Wasser aus entdeckt und uns sofort verliebt. Ich wollte eigentlich immer in die Stadt, mein Mann nicht. Das hier war der Kompromiss.

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Herrlicher Blick über die Rummelsburger Bucht

MS: Seid Ihr Euch in der Gestaltung, der Wahl von Materialien und Möbeln immer einig?
MFW: Ich sag‘s mal so: Wir sind noch zusammen (lacht). Auf meine Flohmarkt-Funde reagiert mein Mann manchmal etwas skeptisch, ich dafür auf seine Souvenirs aus Hongkong, wo er lange gelebt hat. Das Highlight ist die Küche, die mein Mann selber gebaut hat. Aber es fehlen immer noch einige Dinge, wie zum Beispiel Lampenschirme.
MS: Dafür habt Ihr von überall den Blick aufs Wasser.
MFW: Neulich fragte ein Freund, bist du eigentlich oft draußen und genießt den Blick aufs Wasser? Und ich stellte fest, dass ich noch nicht einmal gemütlich draußen gesessen habe. Ich verschiebe und vertröste, nur noch das nächste Projekt, nach dem Katalog, wenn die Ausstellung vorbei ist. Anstatt im Hier und Jetzt zu leben. Ich habe mir vorgenommen, das zu ändern. BvH

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Der ehemalige Industriespeicher ist seit eineinhalb Jahren der Lebensmittelpunkt von Mia und ihrer Familie

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Blick vom Wasser auf Anlegestelle und Bootssteg, wo Mia regelmäßig Yoga macht

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So sah der Speicher vor der Sanierung aus

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Wie kam die Idee für das Love-Hate Ambigramm? „Ich schreibe mir oft etwas auf die Hand oder den Arm. Im Flugzeug spiegelte sich das Wort ‚Love‘ auf meinem Arm im Fenster und ich erkannte in der Spiegelung das Wort ‚Hate‘.

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Mia’s Handgelenke zieren zwei weiße Tattoos: ‚Love‘ auf dem linken Handgelenk und ‚Hate‘ auf dem rechten

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Die türkisfarbenen Sofas vor dem Kamin sind ein Geschenk von Mia’s Galeristen

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Schönes Detail: Den Kamin hat Mia’s Mann selber gebaut

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Das Geweih auf dem Kamin stammt vom Pariser Flohmarkt Porte de Clignancourt

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Blick ins Arbeitszimmer von Mia’s Mann. An der Wand eine Fotografie der Künstlerin Tracey Eman

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Fundstücke vom Flohmarkt

Flohmarkt-Schätze

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Blick in die offene Küche

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Auf dem Mini-Flügel übt sich Mia’s Sohn in ersten Versuchen

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Was für eine schöne Ecke, um Wein zu lagern … und zu genießen!

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Tolle Idee: aus einer alten Werkbank wurde ein Küchenmöbel

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Auf dem Kühlschrank eine Drachenfigur aus Hongkong

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„Die Elefanten-Teekanne habe ich auf dem Flohmarkt entdeckt und meinem Mann zum Geburtstag geschenkt.“

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Die selbstgebaute Küche aus altem Holz

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Blick in den großen Wohnraum

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Über dem Lichtobjekt aus der Mailänder ‚Luce‘-Kollektion zwei Warhols

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Die Verbindung zwischen Wohn- und Arbeitsbereich

Ein Friedhofszaun als Balustrade

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Die Brüstung diente ehemals als Friedhofszaun, den Mia neben dem Pariser Friedhof Père Lachaise entdeckte

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Mia’s Atelier von oben aus gesehen

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Auch dieses Sammelsurium an Glasgefäßen wird in Mia’s Arbeiten Verwendung finden…

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… genauso wie diese Fundstücke verarbeitet wurden

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„Ich habe überall meine Kontakte, die mich mit außergewöhnlichen und seltenen Fundstücken beliefern, wie beispielsweise diese Reiterfigur mit Gasmaske.“

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„Wir haben nicht viele Symbole, das Herz, den Totenkopf, Flügel. Das Kreuz hat jedoch die größte Symbolik und ist am stärksten behaftet von allen.“

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Auf der Suche nach Jesus: „Neulich fragte mich mein Mann nach der Jesus-Figur. Ich sagte, oh, der wird gerade verarbeitet. Mittlerweile ist so etwas bei uns ein ‚running gag‘.“

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„Vor 1 ½ Jahren habe ich in Zusammenarbeit mit Pro-Asyl für meine Performance ‚Edges of Europe’ verschiedene Flüchtlingsrouten bereist …

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… und fand eines dieser gestrandeten Schlauchboote. Das war die Idee, meine performativen Arbeiten als Assemblage zu erstellen, mit den Gegenständen, die ich an den griechischen Ständen gefunden habe. Das ganze Ausmaß der Flüchtlingskatastrophe hatte man damals noch gar nicht begriffen.“

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„Das Edra Flap Sofa im Atelier begleitet mich schon seit vielen Jahren. Viele Erinnerungen sind damit verbunden.“

Love and Hate

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„Bevor die Pferdehaut auf das Modell von Pegasus aufgezogen wurde, lag sie im Kühlschrank unseres Frankfurter Ateliers, was mein Team nicht so lustig fand, denn es roch sehr intensiv. Also musste ein extra Kühlschrank gekauft werden. Für eine Performance zum Thema zweite Haut, Leben und Tod und habe mich in die Haut eingewickelt, was mich große Überwindung gekostet hat. Den Geruch habe ich heute noch in der Nase.“

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Mia und ich!

*Info:

Die Kabinettausstellung ‚Wunderkammer‘ läuft vom 18. Juni bis 14. Juli 2016 in der Berliner Galerie Friedmann-Hahn. Im Rahmen ihres diesjährigen ‚Global Summit‘ zeigt die Menschenrechtsorganisation ‚Human Rights Watch‘ auf Initiative von US-Botschaftergattin und Human Rights Watch-Board Member Kimberly M. Emerson das Pegasus-Projekt vom 19. bis 22. Juni im ehemaligen Staatsratsgebäude (ESMT) in Berlin.

Kontakt Mia Florentine Weiss:

www.mia-florentine-weiss.com

 

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