Jörg Woltmann: „Geschmack hat auch mit Haptik zu tun.“


Wer: Jörg Woltmann, Inhaber KPM Berlin
Wo: Berlin

Jörg Woltmann genießt den Tee am liebsten aus seiner Kurland-Tasse „Royal Noir“ mit vergoldeter Reliefkante

Vor dreizehn Jahren kaufte er die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin „KPM“ – und das vor der Insolvenz: Jörg Woltmann, Berliner Urgestein, Bankier, Unternehmer. Ein Visionär, der entgegen aller Experten-Ratschläge das Berliner Traditionsunternehmen für 13,5 Millionen Euro erwarb, in dem heute mehr als 200 Mitarbeiter beschäftigt sind, rund 120 allein in der Porzellan-Produktion. KPM zählt zu den weltweit ältesten Luxusmarken – 1763 von Friedrich dem Großen gegründet, gehörte es seitdem sieben Königen und Kaisern. Seit 1872 residiert das Unternehmen auf dem historischen Manufakturgelände in Berlin-Charlottenburg, direkt am Tiergarten, wo mich Jörg Woltmann in seinem eleganten, mit englischen Antiquitäten ausgestatteten Büro empfängt. Zwischen holzverkleideten Wänden und einem Portrait des „Alten Fritz“ wird Tee gereicht. Selbstverständlich aus KPM-Tassen. Ein Meet me for tea-Interview über die Liebe zu Porzellan und den Erhalt eines Kulturgutes.

Die Form der Kurland-Tasse stammt aus dem Jahr 1790 und ist nach wie vor einer der Klassiker des KPM-Sortiments. In der „Royal Noir“-Ausführung mit Goldkante kostet die Tasse 1.190 Euro – pro Stück. Ich trinke aus einer kolorierten Kurland-Tasse, einer sogenannten dekorierten Tasse. Seit zwei Jahren sind sie spülmaschinengeeignet dank einer speziellen Glasur, die von KPM entwickelt wurde

MyStylery: Wie war das, als Sie vor 13 Jahren die KPM erwarben?
Jörg Woltmann: Ich kann mich noch genau erinnern, dass der Notartermin von 16 Uhr am Nachmittag bis morgens um fünf Uhr des nächsten Tages dauerte. Durchgehend. Viele juristische Feinheiten waren zu berücksichtigen. Die einzige Unterbrechung war der Pizzabote.
MS: Würden Sie rückblickend die Kaufsumme und die Folgekosten nochmal investieren?
JW: Ich habe es nie bereut, die KPM gekauft zu haben, obwohl vieles anders gekommen ist, als erwartet. Es war letztendlich wie ein Hausbau, bei dem alles teuer wird, als zuvor kalkuliert.

Mit 32 Jahren war Jörg Woltmann der jüngste Bankier Deutschlands. Heute ist der Unternehmer Inhaber der Allgemeinen Beamtenbank, Hotelier und seit 2006 Inhaber der KPM Berlin

MS: Die KPM stand kurz vor dem Aus. Was ist damals schiefgelaufen?
JW: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Land Berlin Eigentümer der Manufaktur. Man bemühte sich in erster Linie, das Kulturgut KPM für Berlin mit staatlichen Subventionen zu erhalten, anstatt den Betrieb unternehmerisch zu führen und den Export zu fördern. Die KPM unterlag dem Kultursenat, der Künstler für das Design beauftragte. Das einzige was störte, war der Kunde. Grundsätzlich ist es schwierig, eine Porzellan-Manufaktur rentabel zu machen.
MS: Worin liegt die Herausforderung?
JW: Die Tischkultur hat sich sehr gewandelt.
MS: Obwohl junge Leute heute wieder mehr Geld ausgeben für Wohnen und Essen, sparen sie ausgerechnet an dem, was Bestand hat und kaufen ihr Geschirr bei Ikea.
JW: Vielen fehlt die Wertschätzung für das Handwerk und die Vorstellung, wie aufwendig allein der Herstellungsprozess einer einzigen Tasse ist. Wenn man sich überlegt, dass an einer Kurland-Tasse 25 Manufakturisten arbeiten, die Herstellung 14 Tage und 29 Arbeitsschritte erfordert und sie anschließend zehn Qualitätskontrollen durchläuft, verdient das Respekt. Ich gehe heute noch mit großer Demut durch die Manufaktur. Was hier geleistet wird, ist Weltklasse. Deshalb hoffe ich, dass die Menschen den Sinn für einen stilvoll gedeckten Tisch, für Nachhaltigkeit und Handwerk wieder entdecken.

Der Sohn einer Schneiderin hat sich seinen Erfolg selber erarbeitet. „Es gehörte schon ein wenig Naivität dazu, mit Anfang dreißig eine eigene Bank zu gründen“, sagt Jörg Woltmann rückblickend. „Ich freue mich, dass ich diese Naivität hatte.“

MS: Junge Leute ziehen heute oft ein Studium der handwerklichen Ausbildung vor. Hat die KPM Nachwuchsprobleme?
JW: Im Gegenteil. Auf die Ausschreibung für einen Porzellanmanufakturmaler gibt es 15 bis 20 Bewerbungen, obwohl die Ausbildung dreieinhalb Jahre dauert. Danach benötigt der Porzellanmanufakturmaler nochmals zehn Jahre Praxis, um dem hohen Qualitätsanspruch genügen zu können. Wir sind in diesem Bereich einer der wenigen Ausbildungsbetriebe und stolz darauf, dass unsere Lehrlinge grundsätzlich mit Bestnote abschneiden.
MS: Muss ein angehender Porzellanmanufakturmaler Talent zum Zeichnen haben und „richtig“ malen können?
JW: Ja, die Bewerber müssen Skizzenbücher einreichen, bevor sie über mehrere Auswahltage beweisen, ob ihr Talent für diese Tätigkeit ausreicht. Dieser Beruf ist letztendlich eine Berufung.

„Ich habe mit 59 Jahren die Manufaktur gekauft – für mich der richtige Zeitpunkt. Ich musste mir nichts mehr beweisen“, sagt Jörg Woltmann. „Mit fast sechzig Jahren hatte ich das Wissen und die Erfahrung, dass ich mich dieser Aufgabe stellen kann, ohne mich zu verheben.“

MS: Gerade die jüngere Generation kauft heute nahezu alles im Netz. Wie läuft der Online-Handel der KPM?
JW: Wir sind sehr zufrieden, obwohl ich anfangs Zweifel hatte. Ich dachte immer, ein haptisches Produkt muss vor der Kaufentscheidung angefasst werden. Aber Qualität und Reputation sprechen für sich. Da reicht im Magazin „Bunte“ die Erwähnung zum Must-have der Woche, und schon gehen bei uns die Klickzahlen rauf. Wir haben Produkte speziell für die Zielgruppe junger Konsumenten entwickelt, wie die Serie „LAB“, die Retro-Kaffeefilter oder Mörser. Statt aus einem Pappbecher trinkt man seinen Coffee-to-go nun aus dem „To Go“-Becher von KPM.
MS: Schreibt die KPM mittlerweile schwarze Zahlen?
JW: Wenn ich nicht so viel investieren würde, könnte ich schwarze Zahlen schreiben. Allein für den Erhalt des Kulturgutes gebe ich jedes Jahr zwischen 500.000 und 800.000 Euro aus. Dazu zählt das Archiv mit über 250 Jahren deutscher Kulturgeschichte. Zeichnungen und Formen, die der Architekt Karl Friedrich Schinkel und der Bildhauer Johann Gottfried Schadow einst in den Händen hielten, müssen heute aufwendig überarbeitet werden. Deshalb habe ich vor drei Jahren eine Stiftung gegründet, in die sukzessive das Kulturgut überführt wird. Davon unberührt bleibt die Produktion.
MS: Sie könnten ruhiger schlafen, hätten Sie sich diese Aufgabe nicht ans Bein gebunden.
JW: Vermutlich. Aber ich habe eine der letzten weltweit überhaupt noch verfügbaren Luxusmarken gekauft. Und welcher Unternehmer bekommt schon die Chance, ein Kulturgut zu erwerben? Mein Engagement hier ist mir lieber, als auf dem Golfplatz rumzulaufen. (lacht.) Ich komme aus der daxgesteuerten Welt der Banken. Durch die KPM hat sich mir ein ganz anderer Kreis von Menschen aus Kunst und Kultur eröffnet, was ich als Bereicherung empfinde.

Neben Porzellan pflegt Jörg Woltmann seine zweite Leidenschaft: Autos. Darunter sein Lieblingsauto, ein Mercedes-Benz 300 SL Roadster, Baujahr 1960, schwarz mit dunkelgrüner Innenausstattung. „Daran wurde noch nie etwas restauriert, alles ist original, inklusive Lackierung“, schwärmt Jörg Woltmann. „Leider sind das heute mehr Stehzeuge als Fahrzeuge.“

MS: Als Kind der Nachkriegszeit sind Sie jenseits des Luxus aufgewachsen. Ihre Mutter brachte es von der Schneiderin zur erfolgreichen Unternehmerin. Bemerkenswert.
JW: Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit, in der ich mit großer Liebe und Zuwendung aufgewachsen bin. In unserem Haus in Lichterfelde war auch die Produktion untergebracht, so dass wir immer in der Nähe unserer Mutter waren. Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal nicht die Sachen meines Bruders auftragen musste, sondern etwas Eigenes zum Anziehen bekam: Ein paar Samthosen. Das war besonders, so wie das gute Geschirr, das bei uns nur sonntags auf den Tisch kam.
MS: Hat das Ihren Sinn für Porzellan geprägt?
JW: Absolut. Mit 28 Jahren habe ich mein erstes Unternehmen verkauft und mir von dem Erlös ein Porzellan-Service zugelegt: Kurland von KPM, das wir nach wie vor zu Hause benutzen. Täglich und nicht nur zu speziellen Anlässen.

„Die einzige Zeit, in der ich festangestellt war, waren die drei Jahre meiner Banklehre beim Bankhaus Hermann Lampe. Danach habe ich immer selbstständig gearbeitet und Dinge gestaltet.“

MS: Vormittags KPM, nachmittags die Bank. Wie lange wollen Sie sich dem täglichen Kampf noch stellen?
JW: Meine Frau weiß, dass ich arbeiten werde, bis ich umfalle. (lacht). Ich gehe es ja heute schon langsamer an und mache auch mal Urlaub. Wir genießen das gemeinsame Abendessen, anschließend entspanne ich mich beim Schwimmen oder in der Sauna. Aus dem aktiven Tagesgeschäft habe ich mich weitestgehend zurückgezogen. Aber ich repräsentiere das Unternehmen nach außen und netzwerke. Pro Tag habe ich vier Einladungen, von denen ich vier in der Woche wahrnehme.
MS: Sie sind ja auch begeisterter Teetrinker…
JW: Ja, der Morgen beginnt mit einem frischgepressten Orangensaft und einer Tasse Tee. Dann muss ich Müsli essen. (lacht). Meinen Tee beziehe ich übrigens aus Taiwan von Geschäftsfreunden, die als Gastgeschenk grüne oder schwarze Teesorten überreichen, die es hier gar nicht gibt. Tee ist mein ständiger Begleiter, auch im Büro steht immer eine Kanne vor mir. Übrigens trinke ich immer aus einer Kurland Bürotasse. Daraus schmeckt der Tee einfach am besten. Geschmack ist auch mit Haptik verbunden.

Internationale Staatsgäste, die beim Bundespräsidenten in Schloss Bellevue zu Gast sind, speisen selbstverständlich von Geschirr der KPM Berlin

MS: Wie geht es weiter mit der KPM?
JW: Was das Personelle angeht, ist die KPM gut aufgestellt. Ich habe großes Vertrauen in meine Mitarbeiter, von denen viele besser sind als ich. Ein großer Markt ist heute Asien, wo hochwertiges, bemaltes Porzellan stark nachgefragt ist. Deshalb gehe ich auch fest davon aus, dass die Firma wieder richtig Geld verdienen wird. Die KPM ist das älteste, produzierende Berliner Unternehmen und ich möchte die Manufaktur für Deutschland erhalten.
MS: Für Ihren Patriotismus müssten die hiesigen Politikverantwortlichen Sie doch pausenlos mit Lob und Anerkennung überschütten.
JW: Tun sie auch. Das Bundesverdienstkreuz habe ich ja schon bekommen. Das kostet ja auch kein Geld. (lacht).Trotzdem finde ich, dass ein Kulturgut grundsätzlich in den Staatsbesitz gehört. Es muss nur richtig geführt werden.
MS: Ärgert es Sie, dass der Senat hier so nachlässig agiert hat?
JW: Ja, aus meiner persönlichen Sicht schon. Andererseits sage ich aber auch, dass – wenn der Staat nicht in der Lage ist – der Bürger gefragt ist, sich zu engagieren. Man kann nicht immer nur die Hand aufhalten. Man muss auch mal etwas zurückgeben.  BvH

Jörg Woltmann nennt preußische Tugenden die Grundpfeiler seines Erfolgs: Fleiß und Aufrichtigkeit. Und er ist stolz darauf, dass er und seine Familie stets Bodenhaftung bewahrt haben

Kontakt:

KPM Berlin

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